Sie lebt nicht irgendwo auf dem Balkan, sondern in Berlins schicker Mitte. Die Braunbärin, gefangen gehalten als Wappentier im Bärenzwinger, gleich neben dem Märkischen Museum. Offiziell ist sie die letzte „amtierenden Berliner Stadtbärin“.
Dieser Bärenzwinger wurde im Jahre 1939 eröffnet. Seitdem hausten hier insgesamt zwölf erwachsene Tiere, die die unvorstellbare Zahl von 55 Jungen in diese enge Welt setzten. Die meisten Jungbären wurden an Zoos und Zirkusse im In- und Ausland verschenkt, verschickt, verschachert.
Nur sie ist übriggeblieben, Schnute, inzwischen 33 Jahre alt. Ihre Tochter Maxi, die sie mit dem eigenen Bruder zeugte und 1986 im Zwinger zur Welt brachte, starb vor kurzem. Die Obduktion ergab schwere inneren Blutungen, Versagen von Leber und Niere. Zudem litt sie an Arthrose, hatte eine verformte Wirbelsäule und Bandscheibenschäden. Resultat des lebenslangen Rundlaufs auf Beton. Auch bei Schnute gibt es Anzeichen von Arthrose und den typischen Stereotypien von Bären in Gefangenschaft.
Eine Befragung von etwa hundert als tierfreundlich bekannten Berlinern ergab: Die meisten hielten es nicht für möglich, dass in ihrer Mitte heute noch Bären in einem Zwinger gehalten werden; sie waren völlig ahnungslos und hatten nie etwas davon gehört. Manche erinnerten sich, etwas darüber gelesen zu haben und ein paar kannten den Bärenzwinger von früher und waren entsetzt, dass dort immer noch Tiere leben – in einer Zeit, da der Tierschutz längst Verfassungsrang hat und derlei mittelalterliche Traditionen der Vergangenheit angehören sollten.
Ohne Zweifel ist diese Haltung nicht artgerecht. Die Gefangenschaftshaltung von Braunbären kann niemals artgerecht sein. Artgerecht ist nur die Freiheit. Aber man kann Zoo-, Zirkus- und Zwingerbären aus miserabler Haltung ein besseres Leben ermöglichen. Ein Leben, in dem sie ihr zwanghaftes Verhalten verlernen und ihre arttypischen Bedürfnisse wieder entdecken und befriedigen können: die Umwelt mit allen Sinnen erleben, Natur riechen und schmecken, auf Futtersuche gehen, nach Lust und Laune baden und schwimmen, Kontakt mit Artgenossen aufnehmen, sich – auch vor Menschen – verstecken, Winterruhe halten. Dass dies keine Utopie sein muss, beweisen Bärenparks oder Bärenschutzzentren, die Tiere aus schlechter Haltung aufnehmen und ihnen ein neues Zuhause bieten.
Auf Initiative von Tierschützern haben Bärenauffangstationen seit Jahren immer wieder ihr Angebot, die Berliner Bärinnen aufzunehmen, erneuert. Dem Bezirk Mitte würden keine Kosten entstehen. Im Gegenteil, er würde zehntausende Euro Steuergelder einsparen. Nach einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus mussten nämlich Jahr für Jahr 90.000 Euro für den Zwingerunterhalt aufgewendet werden. Doch stets wurde dieses Angebot von den politisch Verantwortlichen abgelehnt. Schließlich sollte eine Expertenkommission prüfen, ob die Tiere überhaupt noch transportfähig seien. Die Antwort fiel nicht eindeutig aus – zunächst „nein“, dann eher „ja“ – oder besser „vielleicht“ …
Jetzt, wo nur noch Schnute am Leben ist, machte die grüne Fraktion in Berlin-Mitte einen letzten Vorstoß, die Bärin Schnute aus dem Zwinger zu befreien. Er wurde von SPD und CDU mehrheitlich abgelehnt. Begründung: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
Inzwischen verspricht der Bezirk seinen Kritikern, den Zwinger für die alte Bärin ein wenig wohnlicher zu gestalten. Geld ist freilich dafür nicht vorhanden …
© Text Karin Hutter
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