Hallo! Guten Tag. Mein Name ist Caretta Caretta. Jawohl, so heiße ich mit vollständigem Vor- und Nachnamen. Klingt hübsch, nicht wahr? Ich bin eine Meeresschildkröte und schätzungsweise schon 50 Jahre auf dieser Welt. So genau weiß ich das gar nicht. Auf ein Jährchen mehr oder weniger kommt es auch nicht an, denn wir Carettas können steinalt werden. 80 Jahre oder mehr sind keine Seltenheit. Ich bin etwa einen Meter lang und wiegen mit meinem Panzer so viel wie ein großer, kräftiger Mensch. Trotzdem kann ich prima schwimmen und tauchen.

Meine Heimat ist das Mittelmeer. Bei euch im Norden könnte ich nicht leben. Mir ist es da einfach zu kalt. Ich liebe laues Meerwasser, je wärmer desto besser. Herrlich! Im Winter ist mir selbst das Mittelmeer zu kühl. Dann wandere ich aus und schwimme viele Meilen – bis nach Mexiko und weiter.

Meine zweite Liebe sind warme, weiche Sandstrände. Ihr müsst wissen, von Zeit zu Zeit, besonders wenn es Frühling wird, werde  ich ganz kribbelig. Dann sagt mir meine innere Uhr, dass ich aus dem Meer auftauchen und an Land gehen muss. Zusammen mit anderen Carettas, die ich unterwegs treffe, schwimme ich so lange, bis ich genau den Strand erreiche, wo ich zur Welt gekommen bin. Wenn ich meinen Geburtsort wiedergefunden habe, warte ich im Wasser, bis es Nacht wird. Erst wenn ich sicher bin, dass kein Mensch in der Nähe ist, der mich bei meinem Vorhaben stören könnte, tauche ich auf. Dann schiebe ich mich langsam auf den Strand. Das ist für mich eine so schwere und mühsame Arbeit, dass ich vor Anstrengung stöhnen und keuchen muss. Meine Flossenbeinen, die sich im Wasser leicht und elegant bewegen lassen, sind für einen Landgang ziemlich schlecht geeignet.

Warum ich das trotzdem mache? Ihr werdet staunen! Ich will euch nämlich erzählen, auf welch wunderbare Weise Schildkrötenbabys auf die Welt kommen. Also, wenn ich eine passende Stelle auf dem Strand gefunden habe, räume ich Steine, Müll und was sonst noch im Weg ist, beiseite. Dann kratze ich mit den Hinterbeinen eine Kuhle aus. Nicht sehr groß, aber gerade groß genug, um etwa hundert Eier hineinzulegen. Reine Gefühlssache – so genau zähle ich sie natürlich nicht. Und weil das Eierlegen wieder eine so schwere Arbeit ist, kullern mir manchmal vor lauter Anstrengung ein paar Tränen aus den Augen. Übrigens sehen Schildkröteneier ganz ähnlich aus wie eure Tischtennisbälle – sie fühlen sich auch so an. Wenn nach Stunden endlich alle Eier in dem Loch liegen, schaufele ich es sorgfältig zu, klopfe den Sand fest und verwische die Spuren. Dann verschwinde ich wieder im Meer, ohne mich weiter um meine Brut zu kümmern.

Bevor ihr mich jetzt für eine Rabenmutter haltet, muss ich schnell erzählen, wie es weitergeht: Die Sonne ist es, die meine Eier ausbrütet! Sie heizt den Sand auf und sorgt dafür, dass in dem Nest ganz allmählich winzige Schildkrötchen heran wachsen. Eins in jedem Ei. Und soll ich euch ein Geheimnis verraten? Dort, wo es in dem Nest kühler ist, entstehen die Männchen und wo es so richtig knallwarm ist, die Weibchen. Logisch, oder? Nach zwei Monaten wird es den Kleinen in ihrer Behausung zu eng. Sie zappeln und strampeln dann so lange, bis die Eierschale zerbricht und sie aus dem Ei schlüpfen können. Das passiert aber nur nachts, wenn es dunkel ist. Die kritzekleinen, fast schwarzen Schildkrötenbabys haben es dann sehr eilig. 50 Junge oder mehr drängeln und strampeln durch den Sand und erscheinen fast gleichzeitig an der Strand-Oberfläche. Und dann beginnt ein toller Wettlauf. Jede kleine Caretta robbt so schnell sie kann zielsicher zum Meer. Die Richtung weist ihr die im Mond-und Sternenlicht hell schimmernde Wasserfläche. Neugeborene Meeresschildkröten haben nämlich nichts anderes im Sinn, als sich in die Brandung zu stürzen und sich von den Wellen weit hinaus tragen zu lassen. Das sieht sehr verwegen aus, doch keine Sorge, die Kleinen können schwimmen. Sie brauchen es nicht zu lernen. Sie können es einfach – von Geburt an.

Jetzt werdet ihr auch verstehen, warum Menschenkinder auf unseren letzten Brutstränden keine Burgen bauen oder Löcher graben sollen: Für die Caretta-Babys sind das Fallen und unüberwindliche Hindernisse auf ihrem lebenswichtigen Weg zum Meer. Sie haben es so furchtbar eilig, weil sie unbedingt die Wasserlinie erreichen müssen, bevor der Tag anbricht. Sonst laufen sie Gefahr, in der Sonne auszutrocknen oder von Krabben und Vögeln erbeutet zu werden. Ihr Mini-Panzer kann sie noch nicht schützen, der ist anfangs noch weich und biegsam. Auch ist es uns Carettas nicht möglich, unseren Kopf unter dem schützenden Panzer zu verstecken.

Wenn meine Kleinen ihre erste Seereise antreten, sind sie nicht größer als die Faust eines Menschenbabys. Von jetzt an ist das Meer ihr zu Hause. Das wunderbare Meer, das sie nicht mehr verlassen, bis sie erwachsen sind. Hier finden sie alles, was eine Caretta glücklich macht. Auch an Nahrung fehlt es nicht: Quallen, Seeigel, Krabben, Seegras gibt es im Überfluss. Aber im Meer lauern auch Feinde und Gefahren. Ich werde tieftraurig, wenn ich nur daran denke, dass viele meiner Kinder sich in Fischernetzen verheddern, an Ölklumpen zu Grunde gehen, an Plastiktüten ersticken oder von Schiffsschrauben schrecklich verstümmelt werden.

Die Caretta-Weibchen aber, die es schaffen, allen Gefahren zu trotzen, führt nach Jahren ein innerer Kompass an ihren Geburtsstrand zurück. Sie bauen eine Nistkuhle, legen ihre Eier ab, vergießen ein paar Tränen, verwischen ihre Spuren und verschwinden wieder im Meer. Und alles wird wieder von vorne anfangen. Wie seit Millionen von Jahren schon. Haltet uns die Daumen, dass es so bleibt und wünscht uns Glück. Wir Meeresschildkröten können es gebrauchen.

Eure
Caretta Caretta
z.Z.
auf Seereise zu ihrem Brutstrand auf der griechischen Insel Zakynthos

 

 

Text: Karin Hutter

Foto: macdivers – Fotolia