Hallo! Ich bin Adebar. Ach was, ich muss mich nicht vorstellen – den Klapperstorch kennt doch jedes Kind! Dass er die Babys bringt, ist natürlich ein Märchen. Heutzutage brauche ich eine gehörige Portion Glück, um heil über die Runden zu kommen.
Wenn ich nur an meinen letzten Rückflug aus dem afrikanischen Winterquartier denke – kaum in meinem Brutgebiet eingetroffen, fing der Stress schon wieder an. Ich hatte keine Minute zu verlieren, denn es war bereits Ende April. Höchste Zeit für die Brutvorbereitungen. mein Nest war zwar noch gut erhalten, trotzdem mussten ein paar kleine arbeiten erledigt werden. Während ich hier und da etwas ausbesserte, unterhielt ich mich mit den neuen Untermietern, einem netten Bachstelzen-Paar. Nicht zu vergleichen mit dem lärmenden Spatzengesindel, das seit Ewigkeiten in meinem Horst Wohnrecht hat.
Anschließend unternahm ich einen Ausflug in die Umgebung. Schlechte Aussichten: Felder und Wiesen knorpeltrocken. Selbst Regenwürmer hatten sich tief in die Erde zurückgezogen. Von anderen Leckerbissen wie Insekten, Mäusen, Fröschen oder gar Schlangen keine Spur. Ich lief eine Weile hinter einer Pflugschar her und suchte mir auf der aufgerissenen Erde mühsam eine Mahlzeit zusammen.
Und dann fing die elende Warterei an. Auf wen? Na, auf meine Partnerin natürlich. Sie trifft normalerweise pünktlich zwei Tage nach mir ein. Als sie am dritten noch nicht da war, wurde ich unruhig. Am vierten geriet ich in helle Aufregung. War sie an einer Stromleitung verunglückt? Doch dann trudelte sie endlich ein. Sie hatte einen dieser aufdringlichen Jungstörche im Schlepptau. Was der sich einbildet, mir mein treues Weib abspenstig machen zu wollen! Dabei ist dieser unreife Schnösel mit seinem ein oder zwei Jahren noch gar nicht brutfähig. Als er auf dem First unserer Scheune landete, drohte ich ihm Hiebe an. Storchen-Schnäbel können einen Gegner schwer verletzen, ja, sogar töten. Zum Glück räumte der Störenfried kampflos das Feld.
Endlich konnten ich meine Partnerin begrüßen. Mit Geklapper, Geflatter und Luftsprüngen feierten wir die Rückkehr aus unserem Winterquartier. Dann wurde es Zeit, zur Brut zu schreiten, wie die Vogelkundler sagen. Im Abstand von zwei Tagen legt die Störchin je ein weißes Ein in die Nistkuhle. Dieses Jahr waren es drei, es können sonst aber auch vier oder fünf sein. Beim Brüten herrscht Gleichberechtigung. Männchen und Weibchen wechseln sich ab. Allerdings besteht meine Partnerin darauf, des nachts auf den Eiern zu sitzen. Nach gut einem Monat schlüpft ein Junges nach dem anderen. Na ja, schön sind sie nicht, diese ewig bettelnden Nesthocker.
Anfangs sind sie ganz scharf auf Regenwürmer, die wir ihnen aus unserem Schlund erbrechen. Wenn sie größer sind, reißen sie uns die mitgebrachte Nahrung direkt aus dem Schnabel. Sollte aber das Wetter kalt und nass sein, sind alle Mühen umsonst. Dann können wir froh sein, wenn eines unserer Jungen überlebt.
Diesmal hatten wir großes Glück. Trotz ungünstiger Witterung sind alle Kleinen gesund und munter. Im Moment entdecken sie gerade wozu ihre Flügel gut sind. Immer wenn wir Alten nicht da sind, hopsen sie mit ausgebreiteten Schwingen auf dem Horst herum. Bis sie richtig fliegen können, dauert es noch ein Weilchen.
Bald werden unsere Kinder flügge sein und mit anderen Jungstörchen nach Afrika abreisen. Später werden wir Alten folgen. Und alle hoffen wir auf ein glückliches Wiedersehen. Bis zum nächsten Jahr mit Adebar!
Text: Karin Hutter
Foto: Sergiy Grek – Fotolia
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