Plötzlich sind in Schweden freundliche, umsichtige Menschen, liebevolle Ehemänner, treusorgende Familienväter nicht mehr wiederzuerkennen. Sie sehen rot, blutrot. Das Jagdfieber hat sie gepackt. Und das ist ansteckend. Da geht man ihnen besser aus dem Weg. Normalerweise grassiert diese vorwiegend maskuline Leidenschaft erst zum Aufgang der Elchjagd im Herbst. Nur, Elche kann man immer wieder jagen. Aber ausnahmsweise Wölfe, das gibt offenbar einen ganz besonderen Kick. Welch ein Abenteuer! Die Gelegenheit will sich offenbar kaum ein Nimrod entgehen lassen.
Was ist passiert?
Genau 6747 – in Worten sechstausendsiebenhundertsiebenundvierzig – Jäger haben sich registrieren lassen, um die Lizenz zum Töten zu erhalten. Und am frühen Morgen des 15. Januar 2011 stehen sie Gewehr bei Fuß. 20 Wölfe, aus dem geschätzten schwedischen Gesamtbestand von höchstens 250 Tieren, sind vier Wochen lang zum Abschuss freigegeben. Wölfe, die auch in Schweden unter besonderem Schutz stehen und normalerweise gar nicht gejagt werden dürften. Ja, doch, Artenschützer haben dagegen protestiert. Vielleicht ein wenig zu zögerlich und zaghaft.
Verzweifelt versuchen Antijagd-Aktivisten noch am Tag der Jagd Tiere aus der Schusslinien zu scheuchen und über die norwegische Grenze zu treiben. Woanders wird die Jagd mit viel Lärm gestört, in der Hoffnung, die Wölfe noch rechtzeitig zur Flucht zu veranlassen. Vergebliche Mühe! Schon an diesem ersten Jagd-Wochenende werden 15 Wölfe erschossen. Vier davon sind Alpha-Tiere, zwei sind markiert oder besendert. Ihr Blut färbt den Schnee rot.
Sehr schnell kursieren zahlreiche Fotos der toten Tiere in den sozialen Netzwerken und lösen einen gigantischen Proteststurm aus. Die politisch Verantwortlichen in Schweden und der Umweltkommissar der EU werden mit tausenden Mails aus aller Welt eingedeckt.
Wie konnte es dazu kommen?
Die offizielle schwedischen Lesart für diese Lizenz-Jagd klingen reichlich verworren. Einerseits wurden die Abschüsse von höchster Stelle bewilligt, um angeblich die negative Einstellung der Bevölkerung zum Wolf positiv zu wenden. So wurde mit großem Brimborium zur Wolfsjagd geblasen, um damit mehr Akzeptanz bei jenen Menschen zu erhalten, die den Wolf als Bedrohung sehen, für alles, was ihnen lieb und teuer ist. Kinder, Schafe, Rentiere, Hunde …
Zudem schielt man natürlich auf Wählerstimmen. Hobby-Jäger, für die der Wolf Hassobjekt und Konkurrenz zugleich ist, sind zahlreich. Stichwort: Beuteneid, Futterneid. „Der Wolf darf das ganz Jahr über Elche jagen, wir nur im Herbst ein paar Wochen“, maulen sie in der Tageszeitung Dagens Nyheter. Das ist es! Warum aber alle Probleme gelöst sein sollen, wenn in ganz Schweden 20 Wölfe weniger leben, ist nicht recht einzusehen. Zumal jährlich schon 20 bis 30 Tiere dem Autoverkehr zum Opfer fallen oder illegal getötet werden.
Und ganz nebenbei: sollte die „Entnahme“ einiger Tiere – aus welchen Gründen auch immer, ausnahmsweise nötig sein, könnten das erfahrene Wildhüter übernehmen und diskret erledigen. Dazu braucht man keine Armee von Hobby-Jägern!
Andererseits – und jetzt wird es abenteuerlich: Diese genehmigten Abschüsse sollen auch dazu dienen, der Inzucht unter den schwedischen Wölfe zu begegnen. Blutauffrischung durch Dezimierung? Wie soll das gehen?
Dazu muss man wissen, dass vor einem Vierteljahrhundert Schwedens Wölfe als ausgestorben galten. Besser: sie waren ausgerottet. Der letzte Wolf starb 1966. 1970 gab es noch (oder wieder) drei Tiere, bei denen Wissenschaftler russische und finnische Verwandtschaft nachweisen konnten. Auf diesen Wölfen soll die gesamte schwedische Wolfspopulation fußen. Aber – und das ist auch wissenschaftlich nachgewiesen, Inzucht ist hier nicht das gravierende Problem. Zum einen wandert immer wieder ein Einzelgänger mit frischem Blut aus Finnland ein. Zum anderen sind die Wölfe schlauer als viele Menschen glauben. Sie vermeiden es nämlich, sich mit den allernächsten Verwandten zu paaren, sondern suchen sich den Partner möglichst weiter entfernt. Das scheint auszureichen, sie gesund und munter zu halten.
Die EU-Kommission reagiert
Der weltweite Protest hat offensichtlich etwas bewirkt. Um die ebenfalls genehmigten 27, schließlich 28 (einer davon war illegal), Wolfsabschüsse im letzten Jahr, hatte sich die EU nicht gekümmert – zumindest wurde es nicht bekannt.
Am 27. Januar 2011 fordert nun die Kommission Schweden öffentlich auf, seine bedrohte Wolfspopulation angemessen zu schützen und damit den EU-Schutzvorschriften nachzukommen. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten in der schwedischen Wolf-Politik, die der Kommission Sorgen bereiten. Insbesondere ist es die Tatsache, dass diese Tierart, trotz ihres ungünstigen Erhaltungszustands, bejagt wird. Außerdem fehlt immer noch ein Wolf-Managment-Plan. Auf Vorschlag von Umweltkommissar Janez Potočnik hat die Kommission nun beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden einzuleiten. Wie lange sich dieser Prozess hinziehen wird und was dabei herauskommt, steht noch in den Sternen. Wichtig ist: Schweden steht am Pranger – sein Umgang mit einer in der gesamten EU streng geschützten Tierart ist inakzeptabel und beschämend.
Das schwedische Umweltministerium reagiert
Nur einen Tag später, am 28.01.2011, gibt das Ministerium eine umfangreiche Pressemitteilung heraus mit der geradezu marktschreierischen Überschrift: „Wolf-Population soll durch Auswilderung neuer Wölfe im Laufe 2011 gestützt werden“. Das Papier ist mit Sicherheit die Reaktion auf das am Tag zuvor angekündigte EU-Vetragsverletzungsverfahren. Und es ist eine einzige Verteidigung der bisherige schwedischen Wolfspolitk. Zum Beispiel wird jetzt ernsthaft in Erwägung gezogen, noch in diesem Frühjahr Jungwölfe, die in Gefangenschaft geboren sind, auszuwildern. Experten schütteln den Kopf. Unerfahrene Zoo-Wölfchen in die Fänge fremder Rudel zu schubsen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Zudem will Schweden mit Finnland über den Fang wildlebender finnische Jungwölfe verhandeln, mit der Absicht, sie noch in diesem Jahr in schwedischen Wolfsgebieten auszusetzen.
Was wäre wenn …
Wie wäre es, wenn man die Wölfe einfach mal in Ruhe ließe? Ohne Manipulationen, Management und „Hege mit der Büchse“. Und stattdessen den Wolfsgegnern, Wolfshassern und Wolfsjägern mehr Aufmerksamkeit schenken würde? Damit wäre einer bedrohten Tierart mit Sicherheit am meisten geholfen. Nicht nur in Schweden.
Bitte schreiben Sie an die Schwedische Botschaft und fordern Sie ein Ende der grausamen Wolfsjagd.
Schwedische Botschaft Rauchstraße 1 10787 Berlin Deutschland Fax:+49-(0)30-50 50 67 89 E-Mail:ambassaden.berlin@foreign.ministry.se© 04.02.2011 – Karin Hutter
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